Diplomtrainer und Sportheilpraktiker:
Der Nachweis von Wachstumshormonen wäre ein weiterer großer Schritt in der Dopingbekämpfung

 

Christian Strasburger arbeitet an der derzeit spektakulärsten Innovation in der Dopingbekämpfung. Professor Strasburger, Leiter des Bereiches Klinische Endokrinologie der Berliner Charité, will das Verfahren zum Nachweis des Wachstumshormons (HGH), das seine Forschungsgruppe entwickelt hat, zur Marktreife bringen. Nach jahrelangem Kampf könnte diese Methode bei den Olympischen Spielen in Athen dazu beitragen, Doper zu überführen, die bislang nicht aufgespürt werden konnten. Davon ist jedenfalls Professor Wilhelm Schänzer, der Leiter des Kölner Dopingkontroll-Labores, überzeugt. "Ich bin sicher, dass die mittlerweile entwickelten Techniken eingesetzt werden können. " IOC-Präsident Jacques Rogge will sich aber noch nicht in die Karten schauen lassen: "Wir werden keine Warnflagge hissen, der Test wird eingesetzt, wenn er einsetzbar ist. "

Mit dem Nachweis von Wachstumshormonen könnte endlich ein bizarres Szenario der Vergangenheit angehören. Seit mehr als einem Jahrzehnt laufen erwachsene Top-Athleten wie pubertierende Teenager mit Zahnspangen herum. Vor allem am neunmaligen Olympiasieger Carl Lewis haben sich immer die Geister geschieden. Schließlich ist ein vorstehender Unterkiefer ein Indiz für die so genannte Akromegalie (Vergrößerung der Körperenden): Akromegalie tritt entweder bei einer krankhaften Mehrproduktion von Wachstumshormon oder beim Doping mit HGH auf. Von der Vergrößerung sind Nase, Kinn, Augenbrauen- und Jochbeinbogen, die Finger und Zehen sowie Gesichtsweichteile wie Zunge und Lippen betroffen. Zusätzlich wächst die Gefahr von Herzmuskelerkrankungen, aber auch im Körper schlafende Tumore können geweckt werden. So weit zu den Nebenwirkungen des Dopingmittels Wachstumshormon.

Die Anwendung von aus Leichen extrahierten Wachstumshormonen zu Dopingzwecken hält der Berliner Mediziner für hochriskant: "So irrsinnig kann eigentlich niemand sein. Das verunreinigte Wachstumshormon kann die Creutzfeldt-Jacob-Krankheit auslösen. Deswegen wurde auch ein Medikament, das in der Therapie für Kinder mit extremem Minderwuchs eingesetzt wurde, wieder vom Markt genommen. In Frankreich leiden noch mehr als zehn Menschen an der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit. "

Eine ähnliche Verbesserung in der Dopingbekämpfung, wie es der von Strasburger entwickelte HGH-Nachweis verspricht, hatte es vor Olympia 2000 in Sydney gegeben. Damals wurde zum ersten Mal auf das Blutdopingmittel Erythropoetin (Epo) untersucht; dieser Test legte die Basis für große Fahndungserfolge in der Dopingbekämpfung: So wurden zwei Jahre später bei den Winterspielen in Salt Lake City der Spanier Johann Mühlegg sowie die Russinnen Olga Danilowa und Larissa Lazutina des Epo-Dopings mit Darbepoetin überführt.

"Epo ist seit mehr als zehn Jahren auf der Liste der verbotenen Substanzen und wir können es erst seit 2000 nachweisen. Wir hatten Jahre das Problem, dass keine geeignete Methode existierte. Jetzt ist sie da und neue Epos in den Tests einzubeziehen, ist ein kleiner Schritt, verglichen zu dem Schritt, die Methode grundsätzlich zu entwickeln", sagt Andreas Breidbach, der im Kontroll-Labor von Los Angeles den in Frankreich entwickelten Epo-Test verfeinert hat.

Wachstumshormone stehen schon seit 1989 auf der Verbotsliste, aber ein Nachweisverfahren wurde bisher nicht zugelassen, weil die Forschung von sportpolitischer Seite lange Zeit ignoriert worden ist. Dass nun Bewegung in die Forschung gekommen ist, hat mit dem Stimmungsumschwung im IOC und der Gründung der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) zu tun. "Seitdem es eine funktionierende Wada gibt, ist das Bemühen deutlich geworden, die Athleten auch auf Wachstumshormon zu untersuchen", sagt Christian Strasburger: "1999 haben wir unser Testverfahren vorgestellt, das ist aber nicht zur Kenntnis genommen worden. Erst nach den Spielen in Sydney hat uns der Medizinische Direktor des IOC, Patrick Schamasch, besucht. " Jetzt unterstützt die Wada sieben Forschungsprojekte, ihr wichtigster Beitrag ist die Organisation von gemeinsamen Tagungen aller Forscherteams. Außerdem koordiniert sie den Austausch des Probenmaterials der Gruppen untereinander.

Am weitesten entwickelt und deshalb auch für Athen favorisiert ist die Methode der Gruppe um Professor Christian Strasburger. Mittlerweile wird die Forschung auch Schritt für Schritt nach Berlin verlegt. "Wir können jedes gentechnisch hergestellte Wachstumshormon feststellen. Das ist mit unserem Verfahren kein Problem", erklärt Strasburger. Das Prinzip des Verfahrens basiert auf folgenden Erkenntnissen: Gentechnisch hergestelltes HGH ist vom Wachstumshormon, das die Hirnanhangdrüse produziert, kaum zu unterscheiden, da die Hauptform in beiden Fällen absolut identisch ist.

Allerdings schüttet die Hirnanhangdrüse außer der HGH-Hauptform auch verschiedene minimal unterschiedliche Varianten von HGH aus, die im synthetisch hergestellten Wachstumshormon nicht vorkommen. Das Nachweisverfahren basiert auf der unterschiedlichen Zusammensetzung von Haupt- und Nebenformen des HGH in natürlichen und gentechnisch produzierten Wachstumshormonen. Führt also ein Athlet gentechnisch hergestelltes HGH seinem Körper zu, so weist sein Blut eine überdurchschnittlich hohe Konzentration der HGH-Hauptform auf. Gleichzeitig bremst die Hirnanhangdrüse die Produktion von eigenem HGH, da genug Wachstumshormone vorhanden sind. Dies führt zur Verminderung der HGH-Varianten im Blut.

Ein Job für Juristen: auf wissenschaftlicher Ebene sieht Strasburger keine Probleme mehr, die der Anwendung der Analysemethode im Wege stehen könnten. Bedenken gibt es dennoch. Schon als Strasburgers Team vor drei Jahren dem IOC erstmals das Verfahren vorgestellt hatte, wurde moniert, dass die Tests nur bei Menschen mit weißer Hautfarbe durchgeführt worden seien, nun müssten sie bei Menschen mit anderer Hautfarbe bestätigt werden. "Für eine solche Behauptung gibt es zwar keine wissenschaftliche Grundlage, aber steht sie erst einmal im Raum, muss sie widerlegt werden", sagt Strasburger.

Dank der internationalen Kooperation wird jetzt Probenmaterial aus verschiedenen ethnischen Bereichen untersucht, die Validierung ist in vollem Gange. Nun fehlt nur noch das Ja der Juristen, Professor Strasburger ist hier nicht mehr Herr des Verfahrens. Er weiß nur eines: Erst wenn in Athen auf der Grundlage seiner Methode gedopten Athleten Medaillen aberkannt werden, ist er am Ziel.

 

Berliner Zeitung, 26.3.2004, von H. P. Kreuzer