Aktuelles: Algerien-Rundfahrt, 27.4.-12.5.2001

 

Prolog:
Algerien ist ein großer Gegensatz zu Marokko gewesen. Das Land ist sehr ärmlich und heruntergekommen, die Organisation bemüht, aber lückenhaft, Essen und Unterbringung äußerst rustikal, wenn auch nicht lebensgefährlich, die Sicherheit im Rennen oftmals nicht gewährleistet. So fanden viele Etappen inmitten des laufenden Verkehrs statt, in den Abfahrten, oft sandig und schmierig, mußte man immer mit Gegenverkehr rechnen!

Sehr gewöhnungsbedürftig für einen verwöhnten Mitteleuropäer ist der Stand der Hygiene, besonders in den sanitären Einrichtungen. Ich sah in den 14 Tagen kein einziges Mal Toilettenpapier geschweige denn eine funktionierende WC-Spülung (meist gab es sowieso nur das ominöse schwarze Loch im Boden), man mußte froh sein, wenn es überhaupt Wasser gab. Gegeben hat es dafür häufiger allerliebste Tierchen an Orten, wo man diese nicht so gerne sieht ......

Strenge Religiosität bei großer Armut, in den Städten auch hohe Kriminalität, dabei Spuren nicht aufzuhaltender Modernisierungstendenzen, starke Gegensätze prägen das offensichtlich von sozialen Turbulenzen und Fundamentalisten erschütterte Land.

Beinahe nämlich wäre aufgrund bürgerkriegsähnlicher Zustände im Osten des Landes die Rundfahrt abgesagt worden, die ersten Etappen wurden komplett verlegt, was die Organisation besonders am Anfang noch hektischer machte.

So fand die ganze Rundfahrt nur in der Gegend um Algier und im Westen (Oran, Tlemcen, Mascara) des eigentlich riesigen Landes statt, sehr viele dem Vernehmen nach auch wunderschöne Regionen wurden ausgelassen. Dafür war das Wetter wunderschön – es regnete nämlich unverhältnismäßig oft, es war kühl und meist wolkig, nur einige sonnige Tage waren zu verzeichnen und das in Afrika!

Als Fazit bleibt festzuhalten, daß die Tour d´Algérie sicherlich nicht so gut wie die Marokko-Rundfahrt besetzt gewesen war, ich jedoch nach letzterer einen schönen Formanstieg zu verzeichnen hatte und in Algerien kräftig mitrühren konnte - dadurch war die Sache natürlich wieder sehr schwer geworden. Höhepunkt war natürlich mein 2.Platz auf der 3.Etappe.

 

26.4.2001:
Morgen geht es im Flieger nach Berlin zur Visaerteilung in die algerische Botschaft. Übermorgen fliegen wir von Berlin nach Algier und am Sonntag morgen ist der Start zur 1.Etappe bei der zweiwöchigen Algerien-Rundfahrt, UCI 2.5.

Auf meinen Vorschlag hin und nach langem Hin und Her und mühsamer Organisationsarbeit starte ich mit 3 Amerikanern und 4 Algeriern in einem mixed team, die Betreuung wird durch Einheimische erfolgen. Das wird wieder was werden! Sicher wird man im Vergleich zu Marokko einige Abstriche machen müssen, nur nicht in punkto Hitze. Dort soll es wesentlich heißer sein, eine Etappe geht sogar durch die Sahara!

Ich hoffe, daß ich mich gut erholt habe in den vergangenen zwei Wochen, gute Beine wären doch sehr von Vorteil! Und ich hoffe, ich darf Euch wieder einen spannenden Nachbericht nach meiner Rückkehr am 12.5.2001 liefern. Danach ist das Wetter bei uns hoffentlich endlich zum Radfahren geeignet und dann werde ich endgültig in die deutsche Saison einsteigen. Haltet mir die Daumen, bis dann!

 

27.4.2001:
Mit dem Flieger in Berlin angekommen, konnte ich wie verabredet Gustavo, einen guatemaltekischen Amerikaner, den ich von der Dom. Rep. her kenne, in Tegel treffen. Der hatte gleich mehrere schlechte Nachrichten parat: ein weiterer Ami kam nicht mit (akute Lustlosigkeit) und sein Rad blieb auch irgendwo hängen. 

Unser dritter Mann Rick fand sich stundenlang nicht ein, er fährt für Tönissteiner in Belgien und sein Zug aus Brüssel hatte - wie sich später herausstellte - einen Brand (!) auf freier Strecke, daraus sich ergebend eine ziemliche Verspätung. Auf jeden Fall bekamen wir drei unser Visum in der algerischen Botschaft und unsere Tickets bei Air Algérie und konnten dann abends im Sportinternat billig übernachten - das hatte uns Dieter Stein vom KED Bianchi Team Berlin dankenswerterweise organisiert. Das öffentliche Verkehrsnetz von Berlin kannten wir inzwischen auch sehr gut, dafür hatten wir alle dicke Beine!

 

28.4.2001:
Nachdem Berlin ja verschiedene Flughäfen hat, kamen wir wieder in den Genuß der verschiedensten Transfers mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, dann hatte unser Flieger auch noch eine gute Stunde Verspätung. Nach einem störungsfreien Flug, wenn man von den notorischen Rauchern in der Nichtraucherzone im Flieger absieht, landeten wir in Algier, woselbst erst einmal keiner da war, um uns in Empfang zu nehmen. Nach einem Telefonat und weiteren 30min des Wartens ging es dann endlich los.

Was für ein Unterschied zu Marokko! Schon der Flughafen wirkte reichlich trostlos, verkommen und schmutzig. Die Meute der Leute, nur teilweise zurückgehalten von ein paar schwerbewaffneten, lustlosen und desinteressierten Polizisten stürzte auf uns ein, wollte uns entweder etwas andrehen, etwas erbetteln oder noch Schlimmeres (wie wir später noch leidvoll erfahren mußten).

Wir flüchteten in den bereitgestellten VW-Bus, der uns in eine Art Sporthotel auf einem Gelände mit einigen sportlichen Liegenschaften brachte, eingerahmt von zwei Autobahnen und mehreren Großkesseln (sah fast aus wie eine Raffinerie). Ob so anheimelnder Umgebung bauten wir sofort unsere Räder zusammen und schwangen uns wenigstens für eine halbe Stunde aufs Rad, um die Beine etwas freizubekommen. Alleine trainieren war nicht erlaubt, gleich hatten wir ein Begleitfahrzeug der Organisation dabei, einmal Autobahn hin und her, am Meer entlang, das war es schon.

 

29.4.2001: Prolog, Bergzeitfahren
Unser "Hotel" verdiente die Bezeichnung nicht, keine Handtücher, kein Toilettenpapier, keine funktionierende Klospülung, statt dessen abgeschnittene Wasserflaschen. Wenn jetzt wenigstens genügend Wasser da gewesen wäre! Die Betten eine Katastrophe und einige Tierchen haben wir auch gleich erschlagen. Das Essen war aber ganz in Ordnung.

Ich habe mit so etwas gerechnet, die anderen haben aber ganz schön nach Luft geschnappt! Und mir schwante noch, daß sich die Bedingungen eher verschlechtern würden. Um es gleich vorwegzunehmen: Wir bekamen nie Handtücher, Klopapier, eine funktionierende Spülung oder genügend Wasser - und wenn, mit einem lächerlichen Wasserdruck - zu sehen.

Toilettenschüsseln bildeten die Ausnahme, meistens gab es das ominöse dunkle, schwarze und auf das ärgste verschissene schwarze Loch im Boden. Die Meniskusbelastung bei den diversen Verrichtungen bei maximal gespreizten Beinen war eine erhebliche, mehr als zwei Wochen wollte ich das nicht mehr machen. Wir stahlen uns immer Papierservietten, denn die landesübliche Anusreinigung mit der Hand und dem nicht vorhandenen Wasser ....... Ich habe mir so oft es ging, die Hände gewaschen.

Nach diesem Exkurs über die hygienischen Bedingungen zurück zum Rennfahrerleben. Vormittags gab es eine Trainingseinheit über gut zwei Stunden mit der ägyptischen Nationalmannschaft auf der Autobahn, das Finale hinter dem Mannschaftswagen. Es war nicht unbedenklich, aber die Jungs sind Könner, sie haben auch die Rundfahrt später beherrscht. Fünf von ihnen werden jetzt in diesen Wochen geschlossen in eine italienische GS2-Mannschaft übertreten, einige von denen haben an die 100 UCI-Punkte!

Am späten Nachmittag gab es dann den Prolog in Algier, ein Bergzeitfahren über 2,4km am Monument, d.h. genauer eine Runde mit Ab- und Auffahrt. Es war sehr schlecht abgesichert, dauernd liefen Leute über die Straßen, die Polizisten hat das gar nicht gekümmert. Man ist da mit 80 Sachen bergab geschmirgelt und konnte nur hoffen, daß dir keiner vor das Rad rennt! Mir lief bergauf bei der Wende eine Frau über den Weg, die 3sek Verlust habe ich noch verkraftet, denn ich wurde sowieso nur 25., mit 14sek Rückstand.

Heißer war dann die Szenerie nach der Siegerehrung auf dem Platz vor dem Monument, als nach Aufhebung der Sperrung durch die Polizei der Platz von Hunderten von Straßenkindern gestürmt wurde, die in Sekundenbruchteilen alles stahlen, was sie bekommen konnten: Brillen, Mützen, Start- und Rahmennummern, Flaschen, etc.. Ich sah die Katastrophe kommen und bin im vollen Sprint unbeschadet geflüchtet. Wir wussten jetzt, warum die Organisation immer so einen großen Wert auf das Verbleiben des einzelnen Fahrers im Tourtross beim Mannschaftswagen und bei den Betreuern legte!

 

30.4.2001: 1.Etappe, Riad El Feth - Ain Benian, 133km
Unser "International Mixed Team" besteht aus fünf algerischen Fahrern, einem Amerikaner (Rick), einem Guatemalteken (Gustavo) und mir (dem einzigen Europäer im Peloton!). Ein algerischer Nationalfahrer fährt bei uns, der richtig Druck hat und auch ein weiterer einheimischer Fahrer fuhr phasenweise recht gut, kam wenigstens durch. Die anderen drei Algerier sind recht schnell ausgestiegen.

Ansonsten sind nur afrikanische Nationalmannschaften am Start: Algerien A, B und Espoirs, Ägypten, Tunesien, Syrien, Lybien, Äthiopien sowie drei weitere mixed Teams. Es war zwei Wochen lang ein rechtes Gewackel auf recht unterschiedlichem Straßenbelag und es gab auch einige hanebüchene Stürze, aus denen ich mich meist heraushalten konnte.

Wie auch gestern beim Prolog hatte ich heute noch recht schwere Beine von der Reise (?), es lief noch nicht richtig, obwohl ich Mitte des Rennens in einer Fluchtgruppe aktiv war. Dies war für diese Etappe jedoch auch mein Verderben, denn just vor einem längeren Berg im Finale wurden wir eingeholt, der Ruck im Feld war heftig, ich konnte mich am Ende des Berges noch halten, dann jedoch ging es auf die Windkante und in einen zweiten Berg hinein, da habe ich nebst einigen anderen geparkt und bis zum Ziel im Grupetto 6.10 min verloren (52.Platz, Gesamt-43.).

Meine Moral war schon etwas am Abgleiten: Sitzbeschwerden, schlechte Beine, sehr kühles Wetter, am Start und im Ziel immer ein Mordsstreß, um sich lästige Menschen, meist diebische Kinder, vom Leib zu halten. Dazu die sehr schlechten Straßen und die schlechte Absicherung des Verkehrs. Daneben fahren die Jungs ihre Windkanten und Attacken nicht nur im Feld, sondern auch unnötigerweise im Grupetto, aber das kannte ich ja schon aus Marokko.

Aufgrund von sozialen Unruhen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Osten des Landes war die Rundfahrt schon abgesagt worden, viele Sponsoren hatten sich zurückgezogen. Dann wurde ein Ersatzprogramm durchgezogen, einige europäische Mannschaften sind aber nicht mehr gekommen. Die ersten fünf Tage waren alle in der Nähe von Algier, schlecht vorbereitet und organisiert, kaserniert waren wir die ganze Zeit in unserem "Sporthotel" und wir haben schon ganz schön abgekotzt. Der Rest der Rundfahrt führte dann in den Westen des Landes und zurück nach Algier, aus der Sahara-Etappe wurde nichts.

 

1.5.2001: 2.Etappe, Souidamia - Souidamia, 105km
Was für ein Tag! Es goss die ganze Zeit wie aus Eimern, dazu kühle 10°C. Die Straßen sandig und glatt wie Seife, tiefe und seeartige Wasserlachen mit ungewissem Grund, dazu ein Bergrundstreckenrennen vom Feinsten, bei dem mehrmals pro Runde von Höchsttempo auf Null abgebremst werden mußte, ein Satz Bremsbeläge war danach durch. 12 Fahrer sind ausgestiegen, es gab viele, viele Stürze, auch aus Dummheit der Fahrer.

Überraschenderweise konnte ich mich in diesem Ausscheidungsfahren lange in der Spitzengruppe halten, im letzten Renndrittel mußte ich reißen lassen und beendete die Etappe als 22. mit 8.06 min Rückstand in einer zweiten Gruppe, jetzt war ich Gesamt-31..

Wir hatten einen sehr netten und bemühten einheimischen Exrennfahrer als sportlichen Leiter, einen sehr korrekten, nach französischer Schule erzogenen älteren Herrn, mit dem wir alle sehr gut auskamen. Dazu noch einen Mechaniker, der allerdings ein etwas gröberes Kaliber darstellte und den wir erst einmal anständig einnorden mußten, weil er gar zu grob mit unserem Material umging. Ab und zu bekam ich dezentral organisierte Massage, d.h. ich habe auf eigene Kosten die Dienste eines Masseurs einer anderen Mannschaft in Anspruch genommen, sonst wäre es sehr schwierig geworden mit der Regeneration.

 

2.5.2001: 3.Etappe, Riad el Feth - Riad el Feth, 144km, 2. Platz!
Mein großer Tag und der erste sportliche Höhepunkt in diesem Jahr! Nachdem bei sehr kühlem Wetter wie jeden Tag die Etappe mit heftigsten Attacken begonnen hatte (vom Start weg ging es ekligst bergauf, später auf einer Autobahn schwerste Windkante), erinnerten sich wohl viele Rennfahrer nach einer Stunde ihrer schmerzenden Beine vom Vortag, an dem überdies das Klassement erste entscheidende Konturen angenommen hatte.

Wieder einmal hatte es am Meer entlang eine Attacke mit Windkante gegeben, als die Flüchtigen eingeholt waren, gab ich eines besser und war zu meinem Erstaunen sofort weit weg. Wie bestellt begann es tierisch zu schütten, da hatte hinten wohl auch keiner mehr Lust. Nach 10km hatte ich zwei algerische Nationalfahrer eingeholt, zwei ausgesprochene Bergfahrer (einer davon Träger des Bergtrikots), die mir in der Folge der Etappe bei der Arbeitsverteilung sehr wenig Freude machten, sprich, sie führten nur das allernotwendigste, an den beiden Bergen des Tages versuchten sie mich abzuhängen, wobei ich jeweils in der Abfahrt wieder herankam bzw. im Anstieg sogar dranblieb.

Ich wollte wenigstens den Podestplatz auf dieser Etappe sichern und zog voll durch, hatte super Beine, obwohl es immer wieder wie aus Kübeln goss. Irgendwie habe ich die beiden doch müde gekocht mit meiner Raserei auf den 110km Flucht, denn auf der letzten langen Abfahrt habe ich beide abgehängt, das Bergtrikot jedoch nicht entscheidend und bei der Bergankunft hatte ich schließlich das Nachsehen. 8.30 min Vorsprung waren schließlich herausgekommen, im Gesamtklassement rückte ich auf den 20. Platz vor. 

Meine Reputation im Peloton aber war gewaltig angestiegen und weil ich von diesem Tage an jeden Tag attackieren ging, gab mir eine nationale Zeitung sogar den Titel des besten Rouleurs im Feld. Davon hatte ich allerdings nichts, vielmehr war ich jetzt einer der am besten markierten Fahrer im Feld, den Nimbus eines Nobodys hatte ich verloren. Meine Position in der Windkante oder in der Staffel war aber jetzt aus Respektsgründen leichter zu ergattern und so habe ich mit Sicherheit einige Stürze vermieden. Im Gegensatz dazu hatten sich Rick schon drei Mal und Gustavo zwei Mal hingelegt. Rick fuhr anständig so um den 30., hatte später am Berg gute Tage, Gustavo war gestern vorne angekommen und hatte den 13.Platz inne, den er allerdings im Verlauf der Rundfahrt nicht halten konnte.

 

3.5.2001: 4.Etappe, Rouiba - Rouiba, 105km
Meine Welt! Ein fast flacher, sehr windanfälliger Rundkurs, sonnig, aber immer noch leicht kühl. Viele Male war ich unterwegs, aber immer wieder kam das Feld zusammen. Schließlich gingen acht Mann, im Massenspurt des Feldes wurde ich noch 6., also insgesamt 14. (Gesamt-20.). 

Das Preisgeld hier wurde zwar jeden Tag ausgezahlt, war aber in Dinar und damit fast zu vernachlässigen. Für meinen zweiten Platz gestern hatte ich z.B. die stolze Summe von DM 110.- bekommen, in einem UCI-Rennen! Das Beste war, daß man die algerische Währung nicht in eine harte Währung zurücktauschen darf, das geht nur am Schwarzmarkt und das wurde am Ende von einem der Organisatoren für uns durchgezogen.

Abends waren wir drei mit dem Taxi nach Algier hineingefahren, auf der Suche nach einem Internetcafe. Es beschlich einen schon ein ungutes Gefühl in dieser Stadt, man kam sich vor wie taxiert, so wurde man gemustert (ob bei den ungläubigen Ausländern wohl noch etwas zu holen ist?). Dazu alles so schmutzig und verkommen, keine netten Cafes im Freien, die Straßen eng und kaum Frauen zu sehen. Wenn man die Algerier jedoch direkt ansprach, waren sie oftmals sehr nett, vor allem, wenn sie etwas gebildeter waren. Dann gab es noch eine Demonstration mit vielen Emotionen, da machten wir, daß wir Land gewannen.

 

4.5.2001: Reisetag nach Oran
Einen ganzen Tag im Bus verbracht, mit einer Mittagspause, extra lang, damit die wahren Gläubigen zum ausführlichen Beten kamen (kein Witz!). Schließlich sind wir in einem staatlichen Feriendorf westlich von Oran am Meer gelandet und gaben uns noch eine gute Stunde Beine ausrollen. Dabei gerieten wir in einen Steinhagel von Kindern, offenbar ein sehr witziger Zeitvertreib hierzulande. Zum wiederholten Male ist beim Essen ein Stuhl unter mir zusammengebrochen, irgendwie ist hier alles marode!

 

5.5.2001: Ruhetag in Oran
Aus organisatorischen Gründen gab es einen weiteren Tag ohne Rennen, dies hing wohl damit zusammen, daß wir jetzt erst in den ursprünglichen 2. Teil des Rundfahrtprogramms einstiegen. Bei schönem Wetter, aber heftigstem Sturm gab es 2,5 h Training, ich hatte super Beine, muß mich jedoch dabei erkältet haben, denn von da ab hatte ich besonders abends Fieber, Kopf- und Halsweh, später Husten, konnte aber einigermaßen meine guten Leistungen weiter bringen.

 

6.5.2001: 5.Etappe, Oran - Oran, 94km
Vormittags war ich Wahnsinniger noch 1 h auf die Autobahn zum Training hinter dem Auto gegangen (12er "warmfahren"), denn ich hatte mir etwas vorgenommen für heute!

Als ich dann aber den Kurs in Oran gesehen hatte, verwies ich etwaige Erfolge in das Land der Märchen und Illusionen, es handelte sich um ein ausgewachsenes Bergrundstreckenrennen allerfeinster Güte, noch dazu mit schwerstem Sturm, die meiste Zeit von der Seite. Einziger Vorteil aus meiner Sicht war, daß der Wind bergauf meist von hinten kam und es sich sowieso um einen Rollerberg handelte, das hieß: rapporti (wie der gepflegte Italiener sagt) oder auch "Scheibe" auf Deutsch, will heißen, wir schmetterten 20 Mal (!) mit gepflegten 52:17-15 die 1500m vom Hafen hoch bis knapp an die Kotzgrenze, dann Windkante oben in der Stadt, danach alle Höhenmeter im Sturzflug bei 15-20% Gefälle vernichtet, unten Spitzkehre (bremsen bis es stinkt!), Antritt - in den Berg hinein sprinten. 

Irgendwann nach dem Rennen (ich hatte mich von einer leichten Ohnmacht gerade erholt) stellte ich zwei Dinge für mich fest: erstens würde ich im nächsten Leben Bogenschießen als Sportart erwählen und zweitens hatte ich gerade staunenswerterweise eine der besten Bergleistungen meiner Karriere vollbracht, war in einer 25-Mann-Spitze angekommen, im Bergsprint hatten sie mir dann aber vollständig das Licht ausgeblasen (19.Platz, immer noch Gesamt-20.). Die Rückstände nach hinten waren zum Teil exorbitant, das Feld hatte es komplett zerlegt, es war sogar zu Überrundungen gekommen!

Mann oh Mann, das war erst die 5.Etappe heute und ich fühlte meine Beine nicht mehr! Aber wenn ich mir im Bus dann so einige Renner mit ihrer Gänsehaut und ihrem EXTREM extrovertierten Verhalten (sprich: halbe Veitstänze) ansah, konnte ich nicht glauben, daß dies bei allen jeden Tag noch gut gehen würde. Ach ja, auch heute gab es keine Dopingkontrolle, dafür dreifaches Preisgeld (600 Dinar für mich = DM 18.-!!).

 

7.5.2001: 6.Etappe, Oran - Tlemcen, 142km
Die erste Stunde lief mir sehr schlecht, vom Start weg wurde in einer Tour attackiert, das Tempo war sehr hoch und unregelmäßig, es tat schlichtweg weh. Dann kam irgendwie das große Durchatmen im Feld und in einem überfallartigen Anfall von Größenwahn und Selbstzerstörungstrieb griff ich an, bekam nach und nach Begleitung und - die Gruppe lief nicht richtig! Zwei Ägypter mit Chancen auf das Trikot waren dabei, sonst noch ein Syrier und sechs Algerier, deren Mann hinten im Peloton hängen geblieben war. Wir vier ackerten wie die Wahnsinnigen, die Algerier lagen nur drauf, fuhren aber den ganzen Tag im Dreck, weil wir zu viert eine Miniwindkante aufmachten. Schließlich hatten wir maximal vier Minuten, das Finale war laut Streckenplan nur leicht wellig, ich machte mir schon Hoffnungen.

Um es deutlich zu sagen: der Streckenplan war für das Gesäß und das Finale etwas für Masochisten. Erst einmal kamen zwei Berge, am ersten hielt ich mich noch trotz Attacke, mußte aber feststellen, daß ich etwas weniger vehement hätte mich an den Führungen beteiligen sollen. Am zweiten Berg zogen dann die Ägypter derart durch, daß alles auseinander flog, fünf Mann waren vorne, alle anderen inklusive meiner Bergwenigkeit einzeln dahinter. Danach folgten 15km immer leicht ansteigend mit einem super Wind von vorne. Ich hatte alle Lutscher nach dem Berg abhängen können und mühte mich in einem Einzelzeitfahren a) um eine maximale Verringerung meines CW-Werts (Bißspuren im Lenker) und b) verzweifelt um Anschluß nach vorne. Nachdem b) aufgrund rapider Körnerentleerung nicht mehr in Frage kam, wollte ich nur noch mehr sterben und den sechsten Platz.

Von hinten kam in kleinen Grüppchen die Rundfahrtprominenz angestrahlt, bei km 5 kamen die ersten, leider gerade an einer Welle. Nach kurzem Anstieg meiner Laktatwerte auf Weltrekordniveau für 41-jährige Radrennfahrer mußte ich reißen lassen. Dann kam der Gelbe mit Gefolge, hier konnte ich mich länger halten, bei einer erneuten Welle und nachdem ich den Laktatwertweltrekord ja soeben in meinen Besitz gebracht hatte, ließ ich lieber wieder reißen, um meinem Appetit beim Abendessen nicht allzu sehr zu schaden. Von vorne kamen zu meiner Beruhigung aber auch wieder einige Explodierte, also es fuhr nicht alles an mir vorbei, es war ein munteres Kesseltreiben und ein knallharter Kampf um das Klassement. 

Schließlich kam ich als 16. mit vier Minuten Rückstand ein und hatte momentan überhaupt gar keinen Appetit! Apathisch hockte ich im Schatten einer Palme, goss mir das gute H2O hinter die Binde und erfreute mich langsam wiederkehrender Sauerstoffzirkulation im Gehirn. Das ganze Martyrium hatte mir nur eine Verbesserung um zwei Plätze auf 18 gebracht, dafür aber zwei Betonklötze dort, wo normalerweise sich die Beine befinden.

Epilog: Die Toiletten im Hotel in Tlemcen waren alle verstopft und grausam zugeschissen, dafür gab es nebenan beim Friseur einen guten Haarschnitt für DM 2,20.- !! Prost Mahlzeit.

 

8.5.2001: 7.Etappe, Tlemcen - Sidi Bel Abbes, 160km
Wie würde ich die schweren Belastungen der letzten Tage verdaut haben, lautete meine bange mir selbst gestellte Frage angesichts des Streckenprofils der heutigen Etappe. Dazu noch meine allnächtlichen schweren Erkältungssymptome, die mich sehr schlecht schlafen ließen. Nach 40km leicht bergab sollte es heute einen Berg der 1. Kategorie mit 6km recht steil bergauf gehen, von den Bergen danach gar nicht zu sprechen. Ich war recht nervös und konzentriert, aber vom Start weg vorne dabei.

Und das war auch gut so, denn das, was gestern bergauf im Finale gefahren wurde, ratterten wir attackenmäßig bergab und schwupps - war ich in einer 20-Mann-Fluchtgruppe, brauchte nicht führen und hatte die ersten 20km endlich mal ein feines Leben. Danach wurden wir wieder eingeholt und schließlich ging es sprintmäßig in den Berg hinein.

Und siehe da, einer nach dem anderen explodierte und ich war immer noch dabei, wenn auch auf der allerletzten Rille. Nach 5km Anstieg aber war es auch um mich geschehen. Wir waren zwischenzeitlich nur mehr 20 Mann in der Spitzengruppe, als alle vier Ägypter gleichzeitig (!) attackierten, ich und zwei andere Renner haben daraufhin geparkt, die vier haben dann bis zum Ziel auf die 13 verbliebenen Fahrer der Spitzengruppe trotz stetem Zug auf der Kette und Einigkeit 9 (!) min herausgefahren ...... Wie immer gab es keine Dopingkontrolle, Nachtigall, ick hör dir trapsen ......

Ich fiel dann in die zweite Gruppe zurück, die restlichen 110km wurden derart abartig lasch absolviert, daß bis ins Ziel 22min Rückstand zusammenkamen. Rick, Gustavo und ich hatten mehrfach attackiert, abfahren wollten sie uns dann doch nicht lassen. Nun war ich im Gesamtklassement doch ganz schön weit weg (35. Tagesrang, Gesamt-23.), ich nahm mir vor, noch einmal auf eine Etappe zu fahren.

Abends jedoch waren meine Erkältungssymptome so schlimm, daß unser sportlicher Leiter den Rundfahrtarzt kommen ließ. Erschwerend kam hinzu, daß in dieser Nacht in einem Internat mit einem Massenlager geschlafen werden mußte (ohne Duschen!), das vielfache Schnarchen und die bis zum Boden durchhängenden Betten ließen mich kaum ein Auge zumachen, von Regeneration konnte mal wieder keine Rede sein.

 

9.5.2001: 8.Etappe, Sidi Bel Abbes - Mascara, 117km
Gestern noch schön warm und trocken, wie ich es liebe, über Nacht jedoch war ein Scirocco aufgezogen, mit unglaublich viel Sand in der Luft, der schwer auf den Atem drückte und einer feuchtkalten Wetterlage. Irgendwie war bei mir (und auch bei vielen anderen) alles zu, die Beine, die Bronchien, einfach alles. Dazu gab es heute im Finale einen sehr steilen 3km langen Berg, danach eine Abfahrt, dann eine Bergankunft nach 14km Anstieg.

Wie üblich ging es vom Start weg gleich richtig los, heute aber mußte ich richtig leiden und auf der Windkante (gefährlich und sturzreich!) wäre ich mehrfach fast abgeplatzt. Nach einer guten Stunde beruhigte sich das Ganze wieder, schon vorher waren mir die Beine etwas aufgegangen und ich hatte drei Mal in einer guten Gruppe gesessen, die aber nie lange ging. Inzwischen waren ein Ägypter, ein Algerier und zwei Syrier rausgefahren, der Pharaonensohn metzelte vorne alles nieder und fuhr an diesem Tag ins Gelbe, um es bis zum Ende auch nicht mehr auszuziehen (Mohamed Abdelfatah).

Schließlich erreichten wir den ersten Berg, der noch nicht so auf Krawall gefahren wurde, so blieb ich dabei, ein kleines Loch auf den letzten 500m konnte ich in der Abfahrt locker schließen. Dann aber ging es zur Sache. Zu meinem Leidwesen waren die ersten 3km des 14km-Schlußanstieges sehr steil, sofort war alles zerlegt. Ich bemühte mich, meinen Rhythmus zu finden und tatsächlich wurde ich in dem Maße, in dem es flacher wurde, immer schneller. Versprengte um Versprengte, Grüppchen um Grüppchen konnte ich einholen, schließlich bildeten wir eine schöne zweite Verfolgergruppe, die auf die Gruppe davor (aus der ich mich verabschiedet hatte) nur 3min verlor, auf den Ägypter waren es dann doch 9.44 min ....... (kein Kommentar). 

Irgendwann ist man es müde, zu hinterfragen, warum es bei einer UCI-Rundfahrt 2.5, bei der Dopingkontrollen laut Reglement jeden Tag zwingend vorgeschrieben sind (sogar in der Dom. Rep. gab es sie!), selbige nicht gibt. Der UCI sind m.E. die niederklassigen Rundfahrten sowieso egal und der Kampf gegen das Doping ist doch ein reines Lippenbekenntnis.

Ein 36. Tagesrang und die Verteidigung des Gesamt-23. ließen keine rechte Freude aufkommen, ich war nur froh, daß es vorbei war, inzwischen hatte es auch noch eiskalt zu regnen begonnen. Wir hatten noch einen 30km-Transfer mit dem Bus vor uns, das Hotel war einigermaßen, immer aber noch blies der unangenehme Scirocco, sogar in meinem Koffer war alles voller gelber Sand (wie es in meinem Innenlager aussah, wollte ich gar nicht wissen). Abends behandelte mich wieder der Rundfahrtarzt, aber was konnte er mir schon geben!

 

10.5.2001: 9 Etappe, Mascara - Chlef, 156km
In der Früh zitterten mir die Beine vor lauter Erschöpfung, andere sahen schon wieder wie frisch aus dem Ei gepellt aus (das ist der Unterschied!). Was im Etappenplan so einfach aussah, sollte ein sehr schwerer Tag werden. Und es ging auch irgendwie schon schlecht an, ewig bekamen wir unser Frühstück nicht, Gustavo ging wegen Magenproblemen gar nicht an den Start, dann gab es wieder einen Transfer, schließlich standen wir in einem - im Gegensatz zu Marokko - wie fast immer unabgesperrten Startbereich, in dem uns Gaffer und lästige Straßenkinder nervten. Es war kalt und windig, Sand in der Luft und regenschwanger.

Sofort nach dem Start ging es einen Berg hoch, "pas une grande chose" (keine große Sache), hatte unser Trainer gesagt, der meinte aber wohl ein anderes Radrennen. Oben war ich noch dabei, dann ging es auf die Kante in einem ekelhaften Wellengelände, immer noch waren die Beine total zu und ich fror entsetzlich, fuhr mit der Regenjacke und hatte am Morgen noch leichtes Fieber gehabt. Sehr schnell war alles zerlegt und ich fand mich in einer Verfolgergruppe auf ein 25-Mann-Spitzenfeld wieder, in der nur Rick, zwei Algerier und ich führten, alle anderen Esel lagen nur hinten drauf und dadurch wurde der Abstand laufend größer.

"Nicht schon wieder 22 Minuten", dachte ich mir, zog nach einer zweiten Bergwertung meine Regenjacke aus und attackierte auf der 15km langen Abfahrt derart ultimativ, daß ich gerade im Auslauf des Berges mit letztem Schwung (und Kraft) die Autokolonne erreichte und nach weiteren 5km war ich der 26. Mann der Spitzengruppe!

Diese Abfahrt brachte mir fast noch mehr Renommé ein als meine lange Flucht auf der 3.Etappe, war doch zufällig ein Fernsehmotorrad hinter mir, das mehrfach mein Hinterrad nicht halten konnte und dieser Ritt wurde abends ungeschnitten im algerischen Fernsehen gebracht. Das war aber auch etwas für meines Vaters Sohn: nicht zu enge Serpentinen, meist übersichtlich und dadurch war eine riskante Linienwahl möglich. Dazu nicht zu steil, so daß man des öfteren auch noch treten konnte, allerdings SEHR holperig. Ich fühlte mich oft an meine erste Karriere als Skirennfahrer erinnert, das heutige Spitzentempo von 95 km/h kam da aber nicht ganz hin. Für meine ehemaligen Begleiter war die Sache eine Terz zu geschwind, aber wer zuletzt lacht ......

Ich hatte wirklich im allerletzten Moment aufgeschlossen, denn sofort wurde auf einer breiten Straße bei starkem Seitenwind gekreiselt, wobei es wenig Probleme gab, denn die 26 Mann passten genau auf die Straße. Dann gab es eine Sprintwertung und danach erklärte der Gelbe zu meinem Leidwesen den Rest der Etappe bis zum Finale zur Friedensetappe! In meinen Augen ein Fehler, denn nach und nach schlossen alle wieder auf, selbst der letzte äthiopische Turnschuh kam noch an. 

Im Finale ergab sich dann eine sehr gefährliche und ultraschnelle Windkante, weil die breite Straße am Rand total zerstört und löcherig war, es gab einen Haufen Stürze, darunter auch drei Ägypter inklusive dem Gelben! Hätten wir mit Zug, aber nicht ultimativ schnell, den Kreisel bis zum Ende durchgezogen, wäre das alles nicht passiert, niemand hätte mehr aufgeschlossen und 26 Mann im Sprint sind irgendwie angenehmer .... So aber gab es einen Haufen Überschläge, schmerzhafte Nasenbeinstände und ähnliches, mehrere Fahrer nahmen - am Boden liegend - die 1000m-Regel wahr. Nach meiner Zählung wurde ich 10., aber die Jungs haben da ja kein Fotofinish, im Ergebnis war ich dann 20. und habe mich geärgert. Im Gesamtklassement habe ich einen Platz gut gemacht: 22.. 

Ein seltsamer Tag war das heute: am Anfang der Etappe wollte ich sterben, nach der rasanten Abfahrt waren die Beine offen, im Finale bin ich fast alle Angriffe mitgegangen und im Spurt ging es richtig gut. Verrückt!

 

11.5.2001: Etappe 10 a, Chlef - Blida, 158km
Was für eine "tolle" Idee für den letzten Tag einer Rundfahrt: Vormittags 160km, nachmittags dann 50km! Die Geschichte war umso übler, als es nach einer Stunde wie aus Kübeln anfing zu regnen, das Ganze auch noch bei ätzend kalten Temperaturen (man wundert sich wirklich, wie kalt es in Afrika sein kann). Es war aber zum ersten Mal so etwas wie eine Friedensetappe, sogar der 5km lange Berg wurde nicht ultimativ hochgerast, nur die letzten 500m wurden gesprintet. Ich hatte mir am Morgen beim Frühstück mit irgend etwas den Magen verdorben, hatte übles Bauchweh, wußte mir nicht zu helfen und litt so dahin. Das Finale war dann wieder recht hurtig, es ging auf der Windkante leicht steigend dahin und um ein Haar hätte ich abreißen lassen müssen (31.Platz).

Es gab eine nur sehr kurze Pause von drei Stunden zwischen den Etappen, dafür keine Duschen, wir waren ja auch kaum naß, durchgefroren und dreckig. Ich ließ den Abwaschalkohol in Kraft treten und holte mir mit viel Aufwand aus meinem Koffer - der lag natürlich auf einem speziellen LKW tief vergraben - eine komplett neue Garnitur. Gegessen habe ich nur etwas Kartoffelbrei, mir war wirklich hundeübel.

Unsere Betreuer ließen mal wieder an unseren sandigen Rädern ihre gesamte Sorgfalt aus - sie verteilten mit einem schmutzigen Lappen den Dreck und ölten die Ketten - mir war schon alles egal. Zwischenzeitlich war es trocken geworden, ich stieg in die trockenen Klamotten und die nassen Radschuhe, rollte zum Start und wollte kotzen (konnte aber leider nicht).

 

11.5.2001: Etappe 10 b, Blida - Alger, 52km
Schwere, dunkle Wolken und ein eisiger Wind vom Meer in Sturmstärke waren die einladenden Bedingungen, der Start war am Beginn einer schnurgeraden Autobahn, man sah den Strich über die Wellen kilometerweit und DER WIND KAM VON LINKS! 

Jedem war klar, daß sich nach einem Blitzstart sofort eine Höllenwindkante (Rückenkante) bilden würde. Pünktlich zum Start öffnete der Himmel seine Schleusen und ein Wolkenbruch sondergleichen ergoss sich über die gesamte Szenerie - was soll ich groß reden, es war eine einzige Raserei, 40km lang habe ich den 12er nicht rausgenommen. Trotz meiner Übelkeit hatte ich super Beine, was für eine Kombination! Ich saß wie ein Steher am Rad, mit durchgedrückten Armen, damit mein armer aufgeblähter Bauch Platz hatte und hechelte kurzatmig durch die Gegend - immer vorne in der Staffel, aus der ich mich aus Selbsterhaltungsgründen um keinen Preis verdrängen ließ oder in diversen Attacken. 

Das Rennen fand ausschließlich am äußerst rechten Autobahnrand statt und der sieht dort anders aus, als der gepflegte deutsche Durchschnittspannenstreifen! Alles war mit Glas übersät, überall lagen Steine und Trümmer (Teile von Leitplanken, Kotflügeln, Stoßstangen, alte Reifen, etc.) auf der löchrigen Rubbelpiste. Auf keiner Etappe hatte es so viele Defekte und üble Stürze gegeben! Es war schlicht kriminell, selbst in den vorderen Positionen.

Nach 30km bildete sich eine Spitzengruppe, ich hing gerade vorne nach einer vergeblichen Attacke dumm rum, hatte nichts Besseres zu tun und außerdem Zeit (hahaha) und schloss mich zwanglos an. Nach 15km wurden wir wieder eingeholt, zwischenzeitlich waren wir in den Außenbezirken von Algier, die Richtung hatte sich geändert und nun hatten wir in der Stadt schärfsten Gegensturm, keiner wollte mehr führen. Sofort ging eine Konterattacke, in der unser algerischer Nationalfahrer war, jetzt legten Rick und ich mal alles lahm und unser Mann wurde tatsächlich Zweiter! Im anschließenden Massensprint bergauf (Scheibe 17) wurde ich auf 11 gesetzt, ich habe mich auf dem 7.Platz gesehen, was soll es. Der Zielspurt war das i-Tüpfelchen, ich ließ gleich durchrollen und übergab mich in der nächsten stillen Ecke drei Mal, von da weg ging es mir gleich besser.

 

12.5.2001:
Spät war es gestern Abend geworden: alles verpacken (wir waren wieder im Ausgangshotel vom Beginn der Rundfahrt), Siegerehrung, tauschen unseres Preisgeldes am Schwarzmarkt gegen harte Währung (FF), etc.. Um fünf Uhr morgens mußten wir aufstehen, die Reise verlief planmäßig, alles klappte (Flug Algier - Berlin - München), wenn es auch wieder einen ganzen Tag dauerte. Abends konnte ich endlich wieder Martina in die Arme nehmen und es gab ja auch reichlich zu erzählen.

Man wird abwarten müssen, wie sich die Form nun weiterentwickelt, immerhin bin ich heuer schon 40 Straßenrennen gefahren (5000 Renn-km), außerdem steht nun ein weiterer Klimawechsel bevor und überdies wird es in Deutschland hauptsächlich nur wieder Kriterien geben, die einen ganz anderen Rhythmus erfordern. Vielleicht sollte ich eine Pause einlegen? Ganz ungut ist das, was sich schon wieder auf meiner Sitzfläche entwickelt, hoffentlich wird das nicht wieder eine Fistel wie letztes Jahr. Kein Wunder bei den schlechten Straßen und dem andauernden Gehoppele ...... Jetzt heißt es aufpassen und doppelt pflegen!

 

(Fotos)